Herbstliche Herausforderungen: Einblicke in den Praxisalltag und das Gesundheitswesen im Wandel Teil2
In der Sprechstunde sitzt eine Dame um die 60, die ich vor wenigen Wochen gesehen habe, und ich habe den Faden noch nicht gefunden ... Ich weiß, es war bedeutend, aber irgendwie auch noch unklar. Ich frage also, wie die letzten Wochen so gelaufen sind. Und sie berichtet mir, dass mit dem Medikamentenwechsel der Puls um 5-10 Punkte runtergekommen sei, aber immer noch bei 90 liege. Gefällt mir dann überhaupt nicht, sie hat nämlich schon eine volle Dosierung Betablocker. Was ist hier los? Richtiger Rhythmus.
Eine Knieoperation war vor 3 Monaten, sie hat das Rauchen aufgehört und dadurch über 5 kg Gewicht zugenommen, sie beklagt jetzt Luftnot und eben diesen schnellen Puls. Ich schaue meine Unterlagen durch, OP-Unterlagen ... und nichts will so richtig passen, die Problematik tritt doch erst seit wenigen Wochen auf. Ich denke noch, nur dass wir hier nichts übersehen.
Dann schaue ich nochmal auf die Patientin. Geschätzte 120 kg. Was jetzt? Ich brauche einen Status vom Herz. Eigentlich klare Überweisung ... aber 6 Monate Wartezeit ... Oder Krankenhaus? Na, ich höre die Kollegen schon ... Noch 15 Minuten ... ist nicht meine Aufgabe als Hausarzt ... aber weiterkommen muss man ja schon. Also sage ich: „Bitte oben rum freimachen, dann geht’s auf die Liege.“
Die Echokardiographie führe ich unter Aufbietung all meiner Kraft durch, bis ich so gute Bilder bekomme, dass ich alles verwerten kann. Keine bedeutende Lungenembolie, aber eine leichte Mitralstenose mit mittlerem Druck um 5 mbar. Sollte es aber nicht erklären, der Vorhof ist auch noch normal groß. Keine Rhythmusstörung.
Wir vereinbaren dann doch noch eine erneute Blutentnahme, um eine kleinere Lungenembolie ausschließen zu können und besprechen Gewichtsabnahme, Trinkmenge und Rückmeldung in den nächsten Wochen. Dazu auch immer die Ansage: „Wenn etwas schlechter wird, bitte sofort melden.“ Da bin ich mal gespannt, was daraus wird. Die letzten Laborwerte waren ja tiptop gewesen, daher ist eigentlich nichts zu holen.
Mein Arm tut noch weh vom Drücken durch den kräftigen Körper, aber stolz bin ich ja dann doch, dass ich unter schwierigsten Bedingungen eine echt saubere Beurteilung hinbekommen habe.
Der Rest der Sprechstunde schnurrt dann eigentlich auch gut durch, dies und das, aber nichts Dramatisches. So gegen Mittag kommt meine Kollegin auf mich zu und lächelt mich an. Prinzipiell ist das auch nett, aber in dem Fall bedeutet es leider einen Hausbesuch für mich, weil sie noch so viel auf dem Tisch liegen hat. Naja, sie macht ja auch immer viel für mich.
Da muss das Mittagessen halt noch warten ...
Ich fahre also zu der Patientin und deren Familie, habe noch einige Schwierigkeiten, das Haus zu finden, dann werde ich aber schon durch ein Fenster begrüßt und eingelassen.
Man kommt mit der alten dementen Dame nicht mehr so gut zurecht, seitdem sie vor kurzem im Krankenhaus war und sich den Ellenbogen gebrochen hat. Der Blutdruck geht in die Höhe, die Pflege funktioniert nicht mehr, weil die Patientin dagegen arbeitet, und in der Nacht ist auch keine Ruhe.
Als klassischer Krankenhausmediziner war ich früher natürlich davon überzeugt, alles mit Medikamenten zu regeln. Erstaunlich ist, dass ich heute eher froh bin, wenn ich Medikamente einsparen kann. Das heißt nicht, dass es keine Medikamente gibt, wenn man sie braucht, aber ich bilde die Menschen immer mehr in den Möglichkeiten aus, die es so noch gibt.
Und so höre ich mir die Geschichte an, was im Krankenhaus gelaufen ist, und das waren wohl auch echt traumatisierende Ereignisse. Nicht, dass etwas total falsch gelaufen sei, aber bei der Situation unserer Krankenhäuser gibt es echte Schwierigkeiten in der Pflege, da muss es funktionieren, irgendwie, da ist wenig Zeit und bei aller Aufopferung der Schwestern niemals diese Ruhe und Gelassenheit wie zu Hause.
Habe dann auch mit der Familie Ideen und Lösungen besprochen, habe über das Streicheln der Oma und bewusstes Anlächeln gesprochen, Teddybär im Arm, Ablenkungen, Wärme, Musik, Gerüche und so weiter, wie man mit dementen Patienten eben am besten umgehen kann.
Wir haben Lagerungsmaßnahmen für die Nacht erwogen und pflanzliche Unterstützungen besprochen. Das gibt der Familie dann auch wieder Mut, sie kann die Ideen in Fürsorge für die alte Dame umsetzen; und ich könnte mir vorstellen, dass das auch funktioniert. Natürlich sage ich der Tochter: „Das probieren Sie jetzt ein paar Tage, und wenn es nicht klappt, melden Sie sich, dann machen wir das mit den Medikamenten.“
Da bin ich mal gespannt, aber das kann ja so oder so ausgehen.
Aber jetzt erstmal Mittagessen, am Nachmittag geht es ja dann weiter, und in der Regel ist die offiziell angesetzte Arbeitszeit niemals die wirkliche Arbeitszeit.
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